Die Wahrheit und das Leben – Mit »The Present« in Magdeburg (abgesagt)

Luciano Berio (1925–2003)

A-Ronne

Johann Sebastian Bach (1685–1750)

Komm, Jesu, komm BWV 229
Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf BWV 226
Fürchte Dich nicht, ich bin bei Dir BWV 228
Singet dem Herrn ein neues Lied BWV 225

 

Acht Menschen, sieben Sprachen, treffen aufeinander. Sie ringen um Worte. Sie ringen mit Worten. Sie zitieren die Bibel und Goethe, der Faust die Bibel übersetzen lässt. Jemand hat das kommunistische Manifest dabei. Ein anderer Roland Barthes. Eine dritte T.S. Eliot. Sie untersuchen, üben, erforschen, sezieren Worte und Phrasen, bauen sie um und geben ihnen neue Bedeutungen. Es wird gesprochen, geflüstert, gestottert, geliebt, gelehrt, gelacht. Eine Art Madrigal taucht auf. Später werden barocke Koloraturen exerziert. Es geht um die ganz großen Fragen, die gleichzeitig das Stück gliedern: Was war am Anfang, wo ist die Mitte, was ist das Ende, dennoch ist der Diskurs alles andere als sachlich. Die Stimmung ist affektgeladen und hochemotional. Theater für die Ohren, wie Berio selbst schreibt. Mittendrin treffen diese Menschen in Bachs Motetten zusammen. Bach ist gewissermaßen selbst Anfang, Mitte und Ende – ein Ausgangspunkt für jedweden Ensemblegesang, der Konsens. Die Mitte der abendländischen Musikgeschichte und der Höhepunkt dessen, was wir heute der Alten Musik zuordnen und zugleich wegweisend in die kommende Klassik. Seine Motetten das leuchtende Ende einer sterbenden Musikgattung. Bach scheint klar und logisch, seine Schönheit ist berauschend, die musikalische Qualität über jede Kritik erhaben. Wir haben die Motetten unzählige Male gehört, vielleicht selbst gesungen, sie sind eine Art musikalisches Zuhause. Berio und Bach bilden einen reizvollen Kontrast zueinander, vor allem dadurch, dass Bach, obgleich seine Musik knapp 300 Jahre alt, uns so sehr vertraut ist, und Berio doch eher fremd, obwohl seine Musik vergleichsweise jung ist. Kommentiert, hinterfragt Berio sich in A-Ronne stets selbst, in dem er die immer gleichen Worte immer neu bis in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt, neukombiniert und arrangiert, bekommt er mit dem eingeschobenen Bach nun noch einen zeitlichen Kommentator hinzu. Die Vergangenheit, die Tradition, und das Vertraute scheint auf das Neue, das scheinbar Chaotische, das Spielerische, und beleuchtet es von einem weiteren Blickwinkel. Aber das gilt natürlich auch umgekehrt.

 

The Present
Sopran

Hanna Herfurtner | Olivia Stahn

Alt

Martha Jordan | Amélie Saadia

Tenor

N.N. | Tim Karweick

Bass

Martin Gerke | Felix Schwandtke

 

Viola da Gamba

Marthe Perl

Theorbe

Lee Santana

Truhenorgel

Mira Lange

 

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